Wir stehen alle im selben Fluss

 Ina Weise ist mit dem diesjährigen Förderpreise Bildende Kunst der Landeshauptstadt Dresden ausgezeichnet. Erst letztes Jahr war sie als erste Reisestipendiatin in der Republik Kongo. Wir sprachen mit ihr über die Kunstszene dort und über ihren Platz innerhalb von Dresdens Kunst- und Kulturszene.

Künstlerbund Dresden: Erst einmal herzlichen Glückwunsch unsererseits zum Erhalt des Förderpreises Bildende Kunst 2024, liebe Ina. Wir haben von dir zum Neuen Jahr Glückwünsche in Form einer Karte bekommen, auf der sieht man dich, bzw. eigentlich sieht man dich nicht wirklich. Denn du bist verhangen von einer Maske aus …

Ina Weise: … aus der Frucht der Ölpalme. Im September letzten Jahres war ich für einen Monat im Rahmen der Städtepartnerschaft in Brazzaville, in der Republik Kongo und durfte dort in dem Kulturzentrum Les Ateliers Sahm leben. Bei einem Marktbesuch hielt ich diese Frucht in der Hand, deren Öl in fast jedem dritten Produkt enthalten ist, das wir hier im Supermarkt kaufen, und deren Anbau auch viele negative Folgen nach sich zieht. Ich selber habe mir noch nie einen Kopf darum gemacht, wie die Pflanze aussieht. Das war Ausgangspunkt für die Entstehung dieses Kopfbehangs. Eine ganze Fotoreihe ist dabei entstanden.

KBD: Du kommst tatsächlich vom Textildesign her. So ein bisschen guckt das aus dieser Arbeit für mich raus.

IW: Die Masse der Früchte bekommt etwas Textiles, das stimmt. Der Gedanke ist spannend. Ja, ich habe erst Textildesign studiert und danach auch ein Jahr in einem ähnlichen Bereich gearbeitet, um festzustellen, das ist nicht meins. Wie im Modedesign ist da immer dieser kommerzielle Druck. Ich habe dann ein Masterstudium “Kunst im öffentlichen Raum und neue künstlerische Strategien” an der Bauhaus-Universität in Weimar angeschlossen, und oft war da die Frage, wie kann ich diese beiden Studienrichtungen in meiner Arbeit verbinden. Per Zufall gibt es hier solch eine Verknüpfung von Kunst und Design.

KBD: Zurück nochmal zur Republik Kongo: Wie sieht die Kunstszene dort aus?

IW: Es gibt dort keine Ausbildungsstätte für Bildende Kunst. Die Szene ist dadurch sehr klein, allerdings auch sehr jung. Außerdem stark von Tanz- und Performance geprägt. Die Malerei ist sehr realistisch, manchmal auch etwas surrealistisch aufgeladen und es gibt keinen Kunstmarkt. Das bedeutet, Künstler:innen werden vor allem im Rahmen von Festivals wahrgenommen. 

KBD: Dir ist dagegen gelungen, in deiner Heimatstadt Dresden sehr schnell im öffentlichen Raum sichtbar zu werden. Kannst du uns ein bisschen näherbringen, was wir von dir sehen?

IW: Meine Arbeitsweise ist oft temporär. Zum diesjährigen Jahrestag des Gedenkens an die Kriegszerstörungen habe ich beispielsweise im Rahmen der Banneraktion von WOD gemeinsam mit Alegra Nicka aus Brazzaville ein Bild installiert, das sich mit unserer Perspektive auf eine Zukunft geprägt von Extremwetterereignissen, Wasser- und Nahrungsmittelknappheit, Artensterben und Zerstörung durch Kriege beschäftigt.

Am meisten Aufmerksamkeit hat sicherlich meine Arbeit „NEE NEE NEE“ erhalten. Das sind Leuchtbuchstaben von einem ehemaligen DDR Dienstleistungszentrum, die das Netzwerk Ostmodern gerettet hat und die bislang in Kisten im Keller oder unter den Betten der Mitglieder lagerten. Wir haben sie in Kooperation mit dem Kunsthaus Dresden auf der robotron-Kantine installiert.

KBD: Das ist dann auch eine Aussage: Nicht überall weg mit der Ostmoderne. Oder?

IW: Genau. Im Jahr des 100. Geburtstags von Joseph Beuys war es außerdem eine Reminiszenz an seine populäre Soundarbeit. Aber natürlich geht es auch um die Diskussion um die robotron-Kantine und ihre zukünftige Nutzung, um den Abriss der Ostmoderne und die Verschwendung von Ressourcen, die auch einiges Kopfschütteln verursachen.

KBD: Auch in einer anderen deiner Arbeiten setzt du dich unter dem Titel „Neue Heimat“ explizit mit dieser Thematik auseinander. Wie ist dein Verhältnis zu deiner Geburtsstadt Dresden?

IW: Es waren außerdem vier der Waben vom alten Centrum Warenhaus in meinem Atelier gelandet, und wir haben dann den Kurzschluss zwischen historisiertem, rekonstruiertem Neumarkt und dem Abbau der Ostmoderne hergestellt. Für die Absurditäten braucht es manchmal einen Blick von außen. Deshalb bin ich froh, immer wieder, wie auch für die „NEUE HEIMAT“ mit Marcus Große zusammenzuarbeiten, der in Potsdam lebt.

Außerdem war ich selbst viel unterwegs, habe außer meinen Studienorten in Schneeberg und Weimar auch eine Zeitlang in den USA und an anderen Orten im Ausland studiert. Jetzt sind es die Residencies, die mich immer mal wieder rausbringen. Gleichzeitig finde ich es immer sehr schön zurückzukommen. Hier bin ich verwurzelt. Hier erhalte ich auch das Gefühl, gesehen zu werden, auch ohne den bekanntesten Namen zu haben. Gleichzeitig kommt man sehr schnell mit den Stakeholdern und den Akteur:innen von städtebaulichen Themen in Kontakt. Es ist nicht notwendig, lange zu recherchieren. Alles liegt schon da, bereit darauf einzugehen und zu reagieren. Das ist eine schöne Chance.

KBD: In Dresden bist du zudem in vielen Netzwerken Zuhause.

IW: Es gibt in Dresden wahnsinnig viele Aktive, die sich gemeinsam in Off-Spaces, und Ateliergemeinschaften nicht nur für sich, sondern gleichzeitig auch für die Freie Szene insgesamt engagieren. Tatsächlich geht es schnell, hier reinzukommen und Teil dieser Netzwerke zu werden.

Seit vorletztem Jahr bin ich Aufsichtsrätin für Bildende Kunst im Branchenverband der Kreativwirtschaft „Wir gestalten Dresden“ und nutze dieses Vernetzungswerkzeug auch gern, um auf die Belange der vielen freischaffenden bildenden Künstler:innen aufmerksam zu machen, quasi als eine Vertreterin zu fungieren. Es fiel mir anfangs schwer, mich so zu sehen, ich wachse aber zunehmend rein in diese Rolle. Außerdem bin ich schon seit 2015 Mitglied im Konglomerat e.V., wenn auch gerade nicht sehr aktiv. Und ich bin in einer kleinen

Initiative, die Projekte in Rumänien unterstützt. Im Ehrenamt komme ich auch aus meiner Bubble heraus – es reicht derzeit nicht aus, sich im Freundeskreis gegenseitig zu bestätigen.

KBD: Gibt es für dich Ideen, wo du als nächstes ansetzen willst?

IW: Gerade plane ich zusammen mit dem Künstler Martin Schepers eine Ausstellung im Kunstraum Tosterglope, in Niedersachsen an der Elbe. Wir beschäftigen uns mit dem riesigen Thema Wasser und nähern uns dem Ganzen aus verschiedenen Perspektiven. Er war in Chile, ich in der Republik Kongo, und unsere Eindrücke von dort wollen wir da zusammenbringen.

Das Thema Wasser und Flüsse, die austrocknen – hier will ich auch insgesamt künstlerisch weiterarbeiten. Natürlich hat das auch etwas mit Dresden zu tun. Wir betrachten Wasser dabei nicht nur als Ressource, sondern mit dem Wasser verbinden sich auch viele Mythen und Rituale, eine Verbundenheit. Wir sitzen alle im selben Boot. Oder wie von einem Freund neulich viel passender formuliert: Wir stehen alle im selben Fluss.

Interview und Foto: Christine Gruler

Meine eigene Sprache wiederfinden

Nazanin Zandi ist mit einem der beiden diesjährigen Förderpreise der Landeshauptstadt Dresden ausgezeichnet. Aus sechs Monaten Aufenthalt während ihres Studiums sind inzwischen 27 Jahre geworden. Mit uns spricht sie über das, was sie aktuell am meisten umtreibt. 

KBD: Herzlichen Glückwunsch zum Förderpreis, liebe Nazanin. In der Erklärung der Jury wird insbesondere betont, dass du Text und Bild nutzt, um marginalisierte Stimmen sicht- und hörbar zu machen.

NZ: Auf unterschiedliche Weise. Früher habe ich sehr viel gemalt und dort auch Schrift und Bild verbunden. Außerdem bin ich seit meiner Kindheit ein großer Fan von Comics und Graphic Novels, auch weil mein bester Freund in Italien eine große Sammlung und viel Wissen hatte.

Langezeit spielte das keine große Rolle mehr in meinem Leben, bis es dann für das Projekt „Stimmen“ wichtig wurde.

KBD: Wir haben bei den vergangenen Interkulturellen Tagen das Buch*, das ein Produkt dieses Projekts ist, mit in unserer Mitgliederausstellung gezeigt. Magst du zum Hintergrund etwas mehr erzählen? 

NZ: Elena Pagel und ich haben jahrelang Kurse für Geflüchtete gegeben, an unterschiedlichen Orten in Dresden, und dabei ausschließlich Männer dabeigehabt. So kam es 2018 zu der Idee, auch Frauen zu Wort kommen zu lassen. In den Comic-Workshops haben sich die Frauen dann kurze Geschichten aus dem Leben erzählt und sie gezeichnet. Als wir bspw. einmal über Spiele im Schulhof sprachen, bemerkten eine peruanische und eine persische Frau, dass sie das gleiche Spiel kennen. Neben Unterschieden zeigten sich bei aller Vielfalt auch immer überraschend irgendwelche Parallelen.

KBD: Neben der Interkulturalität habt ihr aber noch anderes angestrebt.

NZ: Wir wollten nicht nur Frauen unterschiedlicher Nationalitäten einladen, sondern uns auch allen sozialen Schichten öffnen – wir hatten Staatsanwältinnen und Ärztinnen, genauso wie Analphabetinnen, also tatsächlich eine sehr große Bandbreite. Und es sind auch deutsche Frauen dabei gewesen, denn ganz wichtig ist uns dabei die Integration.

KBD: Vom Workshop zum Buch, ein langer Weg?

NZ: Oh ja, vor allem die Finanzierung war äußerst schwierig, denn auch wenn die Stadt von der Idee begeistert war, so kam doch nur wenig finanzielle Unterstützung. Aber erst mal zurück zum Anfang: Die Idee zum Buch kam mir mit den „Good night stories for rebel girls“, einem Band, den meine Schwester aus Italien meinen Töchtern schenkte. Da sind 100 Lebensläufe von Frauen aus aller Welt von 100 unterschiedlichen Illustratorinnen begleitet. So kam ich auf die Idee, ein sehr spezifisches Dresdner Buch zu machen. Ich wollte damit auch auf die besondere Situation dieser Stadt, die sehr gespalten ist, reagieren. Neben wahren Geschichten ging es mir auch um unterschiedliche Stile.

KBD: Die Autorinnen sind also die Teilnehmerinnen der Kurse und dann gibt es da die gezeichneten Bilder, die auch von unterschiedlichen Illustratorinnen stammen?

NZ: Ja, mir war wichtig, dass es über eine Dokumentation raus geht und wirklich auch ein schönes Objek wird. Am Ende haben wir trotz Covid 74 Veranstaltungen in sechs Monaten gehabt. Über die ganze Stadt verteilt waren das Workshops, Atelierbesuche und vor allem die Tandem-Sitzungen, bei denen Autorinnen und Illustratorinnen dann zusammensaßen, Fotos aus der Kindheit anschauten und erzählten. Manchmal waren Übersetzer dabei. Insgesamt war ein Riesen-Netzwerk von Menschen beteiligt, was auch sehr viel Koordinationsarbeit einschloss.

KBD: Das Buch ist sogar in sieben unterschiedlichen Sprachen erschienen, denn neben der Muttersprache der Autorinnen gibt es natürlich immer auch den deutschen Text. Sieben Sprachen sprichst du auch selbst, habe ich gelesen. Mir scheint, das Buch ist in vielerlei Hinsicht wie ein Kulminationspunkt in deiner Laufbahn.

NZ: Ja, das trifft es wirklich, das ist es! Ein gutes Bild. Hier fließt vieles zusammen: das Soziale, das Politische – ich nutze es jetzt auch in der Politischen Bildung in Zusammenarbeit mit der TU Dresden. Aber natürlich auch das Künstlerische. Ich bekomme jetzt sehr viele Illustrationsaufträge, das ist ein Traum, den ich schon lange träume. Ich bekomme auch Aufträge für Workshops in politischer und kultureller Bildung mit Kindern und Erwachsenen, mit Schulen, mittlerweile in ganz Sachsen. Ich war innerhalb weniger Monate in Zittau, Dippoldiswalde, Bautzen und in Freital.

KBD: Wie ist es an anderen Orten? Erlebst du da einen Unterschied?

NZ: Nein, und das ist für mich eine sehr große Überraschung. Ich hatte z.B. einen Workshop an einer Schule in Dippoldiswalde und wurde einige Monate lang vorgewarnt: Achtung, hier gibt es in der Klasse Rechtsradikale, die werden dich stören. Aber das stimmte nicht. Alle, wirklich alle haben bis zum Ende mitgemacht und ihre Geschichte gezeichnet.

KBD: Das ist auch ein Workshop, in dem du mit Comics arbeitest?

NZ: Ja, wir arbeiten mit Comics und biographisch. Ich erzähle Geschichten aus dem Comicbuch, die Jugendlichen erzählen mir von sich und durch die Comics ist da schon etwas Jugendliches, das sehr verbindend ist. Dabei mache ich alles aus dem Bauch raus, habe aber durch die 10jährige Erfahrung kleine Tricks wie etwa persönliche Geschichten über Mobbing und Diskriminierung in Obst- und Gemüsegeschichten umzuwandeln. Das schafft ein bisschen Distanz, das anonymisiert und macht es leichter, die schweren Dinge zu erzählen.

KBD: Am Ende hast du es also geschafft, dass sich dir auch die angeblich schwierigen Jugendlichen öffnen?

NZ: Auch wenn es nicht immer idyllisch ist, ich bin jedes Mal positiver zurückgekehrt und so oft überrascht worden, weil die Jugendlichen sich mir geöffnet haben.

KBD: Nazanin, mit dem Förderpreis ausgezeichnet zu werden, beinhaltet nicht nur Anerkennung. Es schließt auch den Wunsch der Stadt ein, das kulturelle Schaffen der Geförderten möge die Stadt weiterhin bereichern. Wie sieht es mit deinen eigenen Wünschen aus?

NZ: Es war für mich eine große Überraschung, ich habe nicht damit gerechnet. Jetzt kommt es ganz langsam bei mir an, und trotzdem bin ich zwiegespalten. Denn als projektbezogen Arbeitende bleibe ich gefühlt immer in der Rolle einer Bittstellerin, der man mit gefühlter Großzügigkeit etwas gibt. Wir sind aber leider immer noch unterbezahlt und können nicht von unserer Arbeit leben.

Was nicht heißt, dass ich die Projektarbeit nicht liebe. Ich liebe sie sogar sehr. Auch das Arbeiten im Team. Ich liebe den sozialen Aspekt des Interkulturellen und es gefällt mir, dass ich meine sieben Sprachen verwenden konnte. Aber mir fehlt gerade sehr meine eigene künstlerische Sprache. Seit Jahren rede ich mit mir selbst nicht mehr, finde keine Zeit, an der Staffelei zu malen – ohne Auftrag. Das wünsche ich mir sehr, dafür wieder Zeit zu haben.

Interview und Foto: Christine Gruler

* Stimmen. 47 Geschichten von Dresdner Frauen aus aller Welt in Wort und Bild. Hrsg. von Nazanin Zandi und Elena Pagel, Sandstein Verlag , 2021

Fuchs und Hase, Kunst und Mensch

Dorfhain liegt am linken Talhang der Wilden Weißeritz, etwa 20 Km von Dresden entfernt. In einem der kleinsten Dörfer der Region gelingt es Olaf Stoy, den Menschen Kunst nahe zu bringen. Wir haben ihn gefragt, was es dazu braucht.

KBD:  Olaf, schon verrückt, nach Bannewitz und Freital hat es dich jetzt noch tiefer in die Provinz gezogen …

Olaf Stoy: … ins kleinste Dorf der Region! Ja, das ist schon verrückt, aber für mich auch zurück zu den Wurzeln. Ich bin in der Gegend aufgewachsen. Außerdem hat die Georado-Stiftung hier in einer ehemaligen Elektro-Fabrik neben anderem auch eine Kunstinitiative integriert. Der gehöre ich jetzt seit 2019 an und organisiere mit befreundeten Künstlerinnen und Künstlern Ausstellungen, Workshops, Lesungen und Konzerte. Ich habe hier mein Atelier und jede Menge Platz, um ungestört Projekte umzusetzen und mich auszutoben. Wenn du aus dem Fenster guckst, siehst du Stahl-Skulpturen, die mal im Berliner Tacheles standen und auf der anderen Seite, wo ich meinen Ausstellungsraum habe, schaust du in den Tharandter Wald. Hier haben sich schon die Romantiker wund gestoßen, hier gibt es Wald, Natur und jetzt mit uns auch Kunst.

Das ist übrigens eine Mischung, die wir auch gut nutzen können: Gerade im Sommer, wenn die Wandersleute unterwegs sind, laden wir zum Kultursonntag. Da kommt dann der Bertel aus Höckendorf und zeichnet, in der Galerie ArtToGo, die ich eingerichtet habe, ist Kunst von den Professionellen zu sehen und unten im Bistro gibt es auch was zu essen.

KBD: Das heißt neben denen, die beruflich von der Kunst leben, lädst du auch interessierte Laien ein?

OS: Ja, das A und O ist wirklich sensibel auf die Gegebenheiten vor Ort zu reagieren. Natürlich wäre es schon schön, etablierte Kunst zu zeigen. Aber mein Hauptbestreben ist, junge Künstler zu fördern, die noch am Start sind, und wo ich sehe, da ist ein super Potential da. Qualität statt bunter Knallbonbons. Mir geht es um handwerklich fundierte Kunst, die nachhaltig ist. Die nachwirkt.

KBD: Hat das mit damit zu tun, dass du es im ländlichen Raum mit einem anderen Publikum zu tun hast?

OS: Ich habe eine gewisse Einstellung zur Kunst. Mir persönlich hat die Kunstausübung und die Beschäftigung damit das ganze Leben über geholfen. Ich bin in keine Depressionen verfallen, habe immer Hoffnung gehabt und das will ich denen, die hierherkommen vermitteln: Kunst ist Hoffnung. Kunst ist der Kitt zwischen den Menschen. Letztes Jahr hat Chris Löhmann bspw. eine große Zeichnung ausgestellt, mit erotischen Anspielungen, mit Reflexionen auf die Nazi-Zeit. Da standen auch Menschen davor, die vollkommen unterschiedliche Ansichten hatten, aber dann über das gemeinsame Interpretieren plötzlich zu einem Konsens kamen.

KBD: Chris Löhmann, Lucas Oertel, das sind die Namen, die im letzten Jahr geladen waren auszustellen.

OS: Genau wie Catrin Große, Peggy Berger und Helena Zubler, die auch in jüngerer Zeit zu Gast waren. Das war übrigens spannend, weil sie drei unterschiedlichen Generationen angehören und dann beim Kulturfeierabend immer auf meine 13 „bösen“ Fragen reagieren, die ich einmal zusammengestellt habe, um auch alle BesucherInnen mitzunehmen.

KBD: Du interviewst also dann live? Wonach fragst du?

OS: Glaubst du an Talent, frage ich zum Beispiel und erhalte vollkommen unterschiedliche Antworten. Eine Erkenntnis aus diesen Gesprächen war, dass zum Talent immer auch Ehrgeiz gehört, sonst kommt man nicht weiter. Das ist spannend.

KBD: So ein bisschen spannend ist es auch, hier raus zu kommen nach Dorfhain.

OS: Ja, leider ist der öffentliche Nahverkehr nicht sehr gut ausgebaut und es fehlen auch noch vier Kilometer Wanderstrecke, um  vom Bahnhof Edle Krone leichter hierher zu kommen. Wir sind natürlich auch immer im Gespräch mit den Lokalpolitikern. Zum Glück bewegt sich aber ständig etwas weiter. Und manchmal auch zurück. Wie jetzt gerade.

KBD: Was ist passiert?

OS: Die Georado-Stiftung befindet sich gerade in einer Umstrukturierung. Wie es aussieht wird dabei wichtige Unterstützung für mich wegfallen wie eine freie Kuratorin, die mir projektbezogen zur Seite stand. Außerdem müssen Förderanträge gestellt und Abrechnungen gemacht werden. Momentan ist unklar, ob die Projektassistentin, die uns bisher dabei geholfen hat, weiterhin verfügbar sein wird. Ich brauche aber Planungssicherheit. Immerhin müssen wir mit besonderen Angeboten aufwarten.

Zur Wanderzeit in den warmen Monaten ist das kein Problem, aber im Winter die Leutchen hinter dem Ofen vor zu locken, ist doch ziemlich schwierig. Bisher habe ich das immer als Aufgabe, denn als Hindernis gesehen, aber die Kräfte sind endlich…

KBD: Was bedeutet das konkret für dieses Jahr?

OS: Für 2023 hatten wir ein Konzept für eine Ausstellung zur Förderung der aktuellen Zeichenkunst mit dem Arbeitstitel „Handzeichen D“ entwickelt. Geplant war Preisgelder und Ausstellungshonorare auszuloben und einen Katalog zu machen. Leider wurde die Förderung abgelehnt.

So ganz wollten wir von der Idee nicht ablassen, aber unter den derzeitigen Umständen sehe ich kaum eine Chance das Projekt umzusetzen. Inzwischen musste ich also unseren Ausstellungsplan anpassen. Wir backen etwas kleinere Brötchen. Aber es geht weiter!

KBD: Du lässt dich also so schnell nicht unterkriegen.

OS: Nein, ich bin ein „optimistischer Pessimist“ (lacht). Irgendwie wird es auch diesmal wieder weitergehen. Auch wenn es manchmal schon hart an die Belastungsgrenze geht.

KBD: Und der Lohn für all die harte Arbeit?

OS: Die beste Belohnung ist dann immer wieder eine gelungene Vernissage, ein Verkauf oder einfach eine schöne Abendveranstaltung. Beim letzten „Last-Minute-Weihnachtsmarkt“ ist das z.B. fabelhaft gelungen.

 Interview: Christine Gruler

Foto: Steffen Peters

Übrigens:

Clivia Bahrke, eine Dresdner Künstlerin, führt seit seit zwei Jahren auch Gespräche mit Künstlerinnen in ihren Ateliers.

Am 25.3., 18 Uhr, unterhält sie sich mit Olaf Stoy in seinem Atelier in Dorhain

https://www.ateliergespraeche.info/

Viele der bereits Interviewten sind Mitglieder im KBD. 

Auf immer digital – Werkdatenbank Bildende Kunst Sachsen

Sie existiert bereits seit 2019 und doch ist die “Werkdatenbank Bildende Kunst Sachsen” (WBKS) vielen noch gar kein Begriff. Dabei wird sie seither kontinuierlich gefördert. Susanne Magister, die immer am ersten Dienstag im Monat in unseren Räumen Beratungsgespräche anbietet, bringt uns auf den allerneuesten Stand.

KBD: Die WBKS gilt als Pionierleistung, da sie bundesweit das erste Projekt war, in dem künstlerische Werkbestände von Künstler:innen und Nachlasshalter:innen selbst erfasst und gebündelt präsentiert werden können.

Susanne Magister: Richtig. Der jetzt vorliegenden WBKS liegt eine Vorläuferversion zugrunde, die angedockt an die „Künstlernachlässe Berlin/Brandenburg“ an die sächsischen Bedürfnisse angepasst war. Aus der heraus konnte dann, seit 2016, und in Kooperation mit der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek (SLUB), die WBKS entwickelt werden. Eine große Fördersumme des SMWKT hat das möglich gemacht. Der Prototyp wurde 2019 vorgestellt und wird sukzessive und sachsenweit weiterentwickelt, d.h. die Verbände in Chemnitz, Dresden und Leipzig arbeiten gemeinsam daran.

KBD: Wie ist der aktuelle Stand?

SM: Mittlerweile sind insgesamt 26.000 Werke eingestellt, knapp 170 Künstler:innen sind angemeldet, online sichtbar sind davon etwas über 100.

Um die Struktur der Datenbank noch genauer zu erklären: Jede Person hat die Chance, eigene Werke in beliebiger Zahl einzustellen. Wir empfehlen immer einen Kernbestand. Im zweiten Schritt kann er/sie entscheiden, welche der Arbeiten wirklich öffentlich zugänglich sein sollen. Ein großer Mehrwert ist schließlich auch die seit 2022 Stück für Stück erfolgende Weitergabe der Werkdatensätze in Verbundnetzwerke (Deutsche Fotothek, arthistoricum.net, Deutsche Digitale Bibliothek (DDB sowie Europeana), was die Sichtbarkeit der sächsischen Kunstschaffenden weiter erhöht.

KBD: Das Wichtigste zur Werkdatenbank in Kürze: Susanne, was ist das Hauptanliegen des Projekts?

SM: Zum einen und allem voran ist sie ein Handwerkszeug für die einzelne Künstler:innen, die sich mit ihrer Eingabe eine digitale Werkdatenbank online und in beliebiger Größe sichern kann. Darüber hinaus ist damit nicht nur die Sichtbarkeit einzelner gesichert, sondern insgesamt erscheint die WBKS dann auch als ein Schaufenster für die sächsische Kunst.

Außerdem dient die WBKS auch als Recherche- und Netzwerktool für Kunstwissenschaftler, Galeristen oder Museumsmitarbeiter. Die haben die Möglichkeit mit einer sehr komplexen Verschlagwortung, sei es nach Themen, Medien, Materialien und verschiedenen anderen Kriterien zu suchen. Wir sind hier beständig dabei zu erweitern. Das ist die Ausgabeseite, die mindestens genauso wichtig ist.

KBD: Du bist 2019 eingestiegen. Inzwischen hast du schon wieviel Beratungen durchgeführt?

SM: Seit ich 2019 eingestiegen bin, gibt es dieses monatliche Angebot, sich dienstags im Künstlerbund beraten zu lassen. Darüber hinaus ist es jederzeit möglich, telefonisch nochmal nachzuhaken oder auch überhaupt telefonisch oder per Mail Dinge zu klären. Es werden schon so um die 100 Beratungsgespräche sein, die ich inzwischen geführt habe. Viel Zeit nimmt die Betreuung der Nachlässe ein, wo wir dann vor Ort auch über längere Zeit und ganz intensiv zusammenarbeiten.

KBD: Und hier müsst ihr beständig um die weitere Finanzierung bangen.

SM: Die gute Nachricht zuerst: Zum Glück ist die Langzeitarchivierung und technische Betreuung der Datenbank selbst dauerhaft über die SLUB gegeben. Es besteht also kein Anlass zur Sorge, dass die einmal hochgeladenen Daten dann nicht mehr abrufbar sind.

Was aber die für uns so wichtige Anlaufstelle für Beratungen und in bestimmten Fällen auch konkrete Unterstützungsleistungen z.B. bzgl. der Digitalisierung von Datenbeständen anbetrifft, hier ist die personelle Situation zumindest für die nächsten beiden Jahre gesichert.

Denn, obwohl bereits Tutorials entwickelt wurden und auch ein Handbuch im Entstehen begriffen ist, ersetzt das nicht die persönliche Beratung und Hilfestellung. Im ein oder anderen Fall ist das persönliche Gespräch dann doch der entscheidende Anstoß, sich zu registrieren und die eigenen Daten hochzuladen oder sich überhaupt mit dem Thema Nachlass zu beschäftigen

Sie ist allerdings abhängig von der Haushaltsplanung des Freistaates Sachsen, sodass wir hier immer wieder gegenüber den Regierungsparteien vermitteln müssen, wie wichtig digitale Instrumente und eine digitale Entsprechung für die Vermittlung von zeitgenössischer künstlerischer Arbeit ist.  Dazu gehört natürlich auch die Diskussion um die Erhaltung der physischen Werke.

KBD: Aktuell wird die WBKS noch einmal erweitert. Was steht gerade an?

SM: Der LBK ist tatsächlich sehr umtriebig, neue Fördertöpfe aufzutun. Gerade eben wird die Datenbank auf diese Weise um eine digitale Ausstellung erweitert und damit nochmal auf eine neue Ebene gehoben. Es entsteht hier eine 3D-Ausstellungsplattform, die es den Künstlern perspektivisch ermöglicht, selbst eine eigene Ausstellung zu kuratieren. Genauso können gemeinsam mit dem LBK thematische Ausstellungen generiert werden. Die erlauben es digitalen Besuchern, einen digitalen Ausstellungsraum zu betreten.

KBD: Das ist aber im Moment noch Zukunftsmusik?

SM: Das ist Zukunftsmusik, aber heiß am Entwickeln – das kommt in diesem Jahr! Hierfür konnten Mittel aus dem Förderprogramm KulturErhalt des SMWKT gewonnen werden, welches ausdrücklich zur Resilienzstärkung und Entwicklung digitaler Konzepte im Kulturbereich aufgelegt wurde.

KBD: Es entsteht also keine Doppelung, sondern wirklich etwas Neues?

SM: Ja, denn es ist wirklich eine andere Sache, ob man sich Kunst flach in der Werkdatenbank abruft oder durch einen digitalen Raum geht. Außerdem ermöglicht es Künstlern, sich niedrigschwellig eine eigene virtuelle Ausstellung zu erstellen und damit dann auch in Schließ-, Pandemie- oder anderen Ausfallszeiten zumindest online präsent zu sein.

KBD: Diese Räume werden dann auch richtig gestaltet sein?

SM: Es wird sich schon um einen vorgegebenen Show-Room handeln, der aber ähnlich wie im realen Ausstellungsraum Möglichkeiten bietet, Wandflächen farbig zu gestalten oder Stellwände einzubringen.

Eine weitere Idee dabei ist auch, die Werkdatenbank nochmal anders erfahrbar zu machen. Über die Verschlagwortung ist es möglich nach Themen wie bspw. Akt, Engel, Pleinair, digitale Gruppen-Ausstellungen umzusetzen.

KBD: Letzte Frage: Können auch Audios und Videos eingebunden werden?

SM: Leider nein, aktuell geht das noch gar nicht, aber die Programmierer:innen arbeiten derzeit daran. Hier wird noch nach Lösungen gesucht, weil es problematisch ist, Hunderte Megabyte große Dateien aufzunehmen. Auch eine Verlinkung auf andere Plattformen wie Vimeo oder YouTube ist nicht wirklich zufriedenstellend.

Interview und Foto: Christine Gruler

Kurzinfos hier

Gefährdete Kunstorte in Dresden

Suntje Sagerer hat ihr Konzept der Minimal Art Gallery (MAG) weiterentwickelt und gemeinsam mit ihrer Kollegin Lisa Maria Baier ein Projekt ins Leben gerufen, das die drängende Raumfrage sichtbar macht. Wir haben mit den beiden gesprochen.

KBD: Suntje, du hast schon 2014 ein Konzept entwickelt, bei dem du mit sehr wenig Raum auskommst. Was war damals dein Ausgangspunkt?

 Suntje Sagerer: Damals war es die Situation Künstlerin und gleichzeitig Mutter zu sein. Ich bin noch im Studium Mutter geworden und habe schnell gemerkt, dass ich nicht mehr genügend Zeit und Konzentration hatte.  Mein Kleinkind hat viel Aufmerksamkeit gefordert und trotzdem wollte ich meinen Job als Künstlerin nicht aufgeben, weitermachen. Wenn du einmal in Kunst denkst, denkst du schon beim Aufwachen darüber nach, wie du diese oder jene Idee am besten verwirklichen kannst und abends schläfst du damit auch wieder ein.

Du hast dann einen tollen Weg gefunden, als du bei deinen Eltern auf dem Dachboden stöbertest.

Suntje Sagerer: Ja, ich stieß dort auf die Puppenstuben-Utensilien meiner Kindheit und fing an, damit Szenerien aufzubauen. Ich baute mir kleine Räume aus Schachteln und begann diese Szenerien mit Puppen und Möbeln im DDR-Design zu fotografieren. In der dabei entstandenen Fotoserie Masters of Society ging es um unkonventionelle Familienbilder, also eher um das Gegenteil einer heilen Welt. Es war auch eine Art Reflexion meines eigenen Zustands. Die innere Welt intensiv nach außen zu bringen, das ist eine authentische Form von Kreation. Und darum geht es mir auch jetzt.

Zusätzlich zur Beschäftigung mit dir und deiner Situation verfolgst du inzwischen aber auch einen Ansatz, der nicht nur minimalistisch, sondern zusätzlich auch kollektiv ist.

Suntje Sagerer: Tatsächlich hat sich das schrittweise aus der Fotoserie, die ich 2013 in Shanghai zeigte, heraus so entwickelt. Mir fehlte der Kontakt zu Kollegen, ich hatte den Wunsch aus meiner Mutterrolle auszubrechen und in der Kunstwelt wieder mehr mitzuspielen. Aus meiner Sammel-Leidenschaft wurde die Minimal Art Gallery. Meine Idee war, eine Ausstellung mit echten Kunstwerken in das kleine Haus zu kuratieren, die Galerie in klein.

Indem du Kolleg:innen eingeladen hast, bei dir auszustellen, gelang es dir  am Ende, 18 Künstler:innen auf 2 m2 Raum unterzubringen. Wie hat sich das angefühlt?

Suntje Sagerer: Es war wirklich großartig, denn ich bekam genau das, was ich wollte und brauchte: Kontakt, Austausch und eine Menge Spaß! Und ich erinnere mich noch heute an alle einzelnen Positionen in dieser MAG und bin sehr dankbar für die tolle Unterstützung, für die vielen Ideen, denn das hatte ja auch einen großen integrativen Aspekt.

In diesem Jahr bist du noch einen Schritt weiter gegangen. Du hast in einem alten Camper einen „Artspace“ eingerichtet und nennst das MAG mobile. Was willst du hier neben bewegen?

Suntje Sagerer: Es geht auch darum, mit einer schwierigen Situation umzugehen und damit künstlerisch zu arbeiten. Konkret möchte ich auf die immer weniger werdenden Frei- und Kreativräume aufmerksam machen. Darauf, dass die Kunstwelt immer elitärer wird und dass, wer nicht aus wohlhabendem Elternhaus oder aus einer renommierten Künstlerfamilie stammt, kaum Chancen hat die gefragten überdimensionalen Werke zu schaffen.

Freiräume für Kunst zu erhalten, daraus ist jetzt ein Projekt in Kooperation mit Lisa Maria Baier entstanden. Wie seid ihr hier zusammengekommen?

Lisa Maria Baier: Wir sind Freundinnen und Kolleginnen. Suntje fragte mich, ob ich nicht ein Projekt in ihrem Bus machen wolle. Daraufhin habe ich ein Konzept entwickelt auf der Basis „Sleeping in my car- what if there is no room“.

Also, was machen, wenn ich am Ende im Auto schlafen muss, wenn ich mir alles andere nicht mehr leisten kann?

Lisa Maria Baier: Ja, tatsächlich ist es ja so, dass binnen kürzester Zeit jeder bezahlbare Projekt- und Freiraum besetzt und vermietet wird. Die Orte leisten damit immer einen großen Beitrag für das soziokulturelle Leben in Dresden. Doch dieses Engagement wird selten nachhaltig geschützt oder gefördert. Die Tendenz der Stadt Dresden kreative Freiräume und bezahlbare Ateliers, Proberäume und Werkstätten zu halten, sinkt deutlich. Gleichzeitig zeigt aber der Wille und die Bereitschaft vieler Menschen, solche Orte lebendig zu halten, dass es noch immer möglich ist, unkommerziell einen Freiraum ganz nach eigenen Vorstellungen zu gestalten.

Du hast jetzt bereits einige Protagnisten der Freien Szene ins MAG mobile geladen und mit ihnen gesprochen.

 Lisa Maria Baier: Genau, ich habe bspw. Christiane Mennicke-Schwarz vom Kunsthaus in den Bus geladen, die Bildenden Künstlerinnen Claudia Kleiner und Sara Hoppe. Kamera, Schnitt, Ton, das sind außerdem meine Jobs.

 Was erhofft ihr euch von eurem Projekt?

 Wir wollen die Situation Kulturschaffender in Subkulturbereichen sichtbar machen. Wir wünschen uns Vernetzung. Und am Ende steht der große Wunsch nach subventionierten Kreativräumen im Stadtinnern.

Abschließend: Wo müssten die Stellschrauben gestellt werden, damit endlich was anders wird?

Lisa Maria Baier: Arbeitsräume müssen dringend auch durch Subventionen, durch öffentliche Gelder mitfinanziert werden. Um bestehende Kreativräume bezahlbar zu erhalten, müssten auch Gelder von der Hochkultur auf die Subkultur umverteilt werden. Deshalb ist unser Ziel auch, den mit Hilfe weiterer Interviews entstehenden Film zum Thema „Gefährdete Kunstorte in Dresden“ am Ende vor dem Rathaus, verbunden mit einer Kundgebung, zu zeigen. Wir wollen Herrn Hilbert an seine Versprechen erinnern.

Interview: Christine Gruler

Über diesen Link geht es zum Video von Lisa Maria Baier 

Dresden ist mein Standort

Svea Duwe hat gerade den Förderpreis der Landeshauptstadt Dresden bekommen. Mit uns spricht sie über ihre künstlerische Herkunft, über Liebgewonnenes und auch über ihre Motivation, sich im Künstlerbund zu engagieren.

KBD: Svea, die Stadt Dresden hat gerade neben dem Kunst- auch zwei Förderpreise vergeben. Einen davon hast du bekommen – Gratulation!

Svea Duwe: Das ist wirklich eine Würdigung, die mich sehr gerührt und geehrt hat. Das Schöne am Förderpreis ist für mich, dass sich darin der Wunsch der Stadt ausdrückt, dass ich meine Arbeit hier fortführe. Und mich darin unterstützen zu wollen, ist ein tolles Signal, das zum richtigen Zeitpunkt kommt.

KBD: Die Jury der Stadt hat insbesondere dein spartenübergreifendes Arbeiten beeindruckt. Bevor du vor 21 Jahren nach Dresden gekommen bist, hast du in Bonn zunächst Klassische Bildhauerei studiert.

SD: Ja, ich habe tatsächlich gelernt, Stein zu meißeln, Holz zu bearbeiten, alles was dazu gehört. Ich habe aber schon vor dem Studium ein Jahr am Theater gearbeitet und mich auch mit der Frage getragen, ob ich Bühnenbild studieren möchte. An der Dresdner Hochschule hat mich angesprochen, dass es hier auch den professionellen Theaterbereich mit Bühnenbild und den Werkstätten gibt, und dass das verknüpft ist mit dem künstlerischen Studium. Als ich das las, klopfte mein Herz! Da war klar, ich muss nach Dresden. Während des Studiums habe ich dann tatsächlich viele theoretische Seminare bei den Theaterwissenschaftlern gemacht.

KBD: Und du bist auch danach in Dresden geblieben. Wo viele nach dem Studium sagen, ich gehe nach Berlin. Was ließ dich bleiben?

SD: Für mich war es ehrlich gesagt nie ein Impuls, wegzugehen. Schon während des Studiums habe ich so viele Freunde hier gefunden, die hauptsächlich auch aus Dresden gebürtig sind. Ich habe eine tolle Szene kennengelernt, viele Menschen, die aus einer inneren kulturellen Motivation heraus Wohnzimmerkonzerte organisiert haben, eigene Ausstellungen. Ich habe diese Szene so liebgewonnen, dass ich überhaupt gar nicht das Bedürfnis hatte, mich nochmal umzupflanzen. Außerdem habe ich mir viel aufgebaut, habe Ateliers gefunden und bin mehrmals umgezogen. Aber all diese Orte, sei es der 7. Stock, die Lößnitzstraße und jetzt das Zentralwerk, sind wichtige soziale Geflechte. Und das ist mir sehr viel wert. Das ist eine Qualität, die man auch nicht so einfach in anderen Städten findet. Deshalb hier ist mein Standort, von hier aus möchte ich ausschwärmen.

KBD: Wo zieht es dich aktuell hin?

SD: Im Moment schwerpunktmäßig nach Chemnitz. Dort bin ich noch in diesem Jahr eingeladen bei einem Festival mitzumachen, dass sich auch an der Schnittstelle der Darstellenden Künste zur Bildenden Kunst bewegt. Ich kann dafür eine Installation realisieren, die schon ganz lange ansteht und die einerseits Rauminstallation ist, aber auch eine performative Aktivierung erfährt. Das wird dort an zwei Tagen uraufgeführt. Außerdem möchte ich gern im Ruhrgebiet arbeiten, das ja ein spannendes Transformationsgebiet ist. Das ist auch, was mich an Dresden interessiert hat als ich hier 2001 ankam.

KBD: Zehn Jahre nach der Wende war noch ungeheuer viel im Umbruch. Haben sich Strukturen hier inzwischen verfestigt?

SW: Ja, es ist fast nicht mehr möglich, herausragende Orte wie wir sie damals bspw. mit dem 7. Stock gefunden haben, für kulturelle Zwecke zu nutzen. Und das für einen Appel und ein Ei. Die freie Szene hat sich da in gewisser Weise institutionalisiert mit dem Zentralwerk und der Geh 8, aber nicht jeder ist in der Lage die Miete dafür aufzubringen. Es ist viel schwieriger geworden, selbst organisierte Ausstellungen zu schaffen. Das ist spürbar und hier muss die Stadt aufpassen, dass sie sich ihre Subkultur bewahrt. Denn Menschen, die aus sich heraus etwas schaffen, das ist eine Qualität, die eine Stadt einzigartig macht.

Ansonsten ist Dresden für mich immer noch ein ganz großartiger Standort als Künstlerin. Gerade im Zentralwerk, wo ich mein Atelier habe, leben wir das Interdisziplinäre. Hier kommen Künstler:innen, Architekten, Sound-Künstler, Lichttechniker und Theaterschaffende zusammen. Ich habe eine Tür, die ich zumachen kann, und gleichzeitig finde ich drei Türen weiter einen Beleuchter, wenn ich ein Video machen möchte. Das liebe ich an diesem Standort. Das ist großartig und nicht so einfach in anderen Städten zu etablieren. Auch dadurch fühle ich mich hier verwurzelt.

KBD: Neben unterschiedlichen Techniken experimentierst du mit unterschiedlichsten Materialien. Was bedeutet das Experiment für dich?

Das Experiment entsteht immer aus einer bestimmten Fragestellung heraus. Bei meiner Arbeit ist es so, dass Themen, die mich sehr stark bewegen, oft gesellschaftlich virulente Themen sind. Dafür suche ich eine künstlerische Form. Das kann dann in einer Skulptur münden, in einem Video, einer Installation oder einer Inszenierung. Beim Material spielt eine Rolle, was es von sich aus erzählen kann. Aktuell arbeite ich unter anderem mit Haar, das ich mit einem anderen Naturmaterial, mit Hautleim verbinde. Raus gekommen ist ein festes Material, das etwas Knochenartiges und auch Gruseliges hat.

KBD: Du machst keine Konzeptkunst, das ist hier auch wieder spürbar. Deine Arbeit ist sehr sinnlich. Dabei weckst du beim Betrachter Gefühle, die auch unangenehm sein können.

SD: Wie fühlt sich der Betrachter dabei? Wie ist er eingebunden? Das sind für mich tatsächlich ganz wichtige Fragen. Es geht nicht um ein reines Gedankenkonstrukt. Im Grunde geht es um Paradoxien, um Widersprüche, in denen wir uns zunehmend mehr befinden. Jetzt, wo die Politik sich selbst die Wahrheit in Abrede stellt, spitzt sich das zu. Die Bedeutung von Wörtern wird in Frage gestellt, alle Sicherheiten werden in Frage gestellt und aufgelöst.

Wenn ich mich mit Widersprüchen beschäftige und dafür Formen finde, heißt das Arbeiten zu schaffen, die die Thematik nicht auf einen Punkt reduzieren, sondern ein Spannungsfeld herstellen. Für den gewillten Betrachter eröffnet das, in mehrere Richtungen zu denken und zu diskutieren. Das Potenzial der Kunst, Unruhe hervorzurufen, das liebe ich sehr.

KBD: Seit letztem Jahr bist du Mitglied im Künstlerbund Dresden. Warum hast du dich dafür entschieden?

SD: Für mich gab es lange keinen Beweggrund einzutreten. Aber durch mein Engagement im Kulturbeirat und in manchen Fachgremien der Stadt habe ich gemerkt, wie notwendig es ist, dass wir Bildenden Künstler uns eine gemeinsame Stimme schaffen. Wir werden vor allem als eine Gemeinschaft von Individualisten, von Einzelkämpfern gesehen, wogegen an sich nichts einzuwenden ist. Aber im kulturpolitischen Kontext ist das eine Schwäche – wir werden gegenüber anderen Kulturbereichen zu wenig wahrgenommen und müssen eine gemeinsame Sprache, ein gemeinsames Standing finden. Und statt jetzt selbst eine neue Initiative zu gründen, dachte ich, nein, es gibt ja schon diese große Interessenvertretung. Und so bin ich eingetreten!

Interview: Christine Gruler

Foto: Zoltán Tanczik

 

Svea Duwe überschreitet Spartengrenzen

Interdisziplinäres Arbeiten ist der Bildhauerin Svea Duwe seit jeher vertraut. Schon während ihres Studiums an der HfBK Dresden wagte sie sich weit vor ins Terrain einer spartenübergreifenden Kunst. Die Landeshauptstadt Dresden würdigt sie genau dafür mit dem diesjährigen Förderpreis.

Zu Svea Duwes künstlerischem Repertoire gehören Installationen, performative Videoarbeiten, szenische Raumkonstruktionen und skulpturale Bewegungen im öffentlichen Raum, genauso wie Fotografien, Grafiken, Plastiken und Kostüme. Dass sie sich dabei als Künstlerin “der Erfahrung von Unwägbarkeiten und Experimenten aussetzt”, hat die Jury der Stadt überzeugt. Immer wieder, so heißt es in der Begründung weiter, fordere sie uns aufs Neue heraus, eigene Haltungen und Sichtweisen zu hinterfragen.

Wir freuen uns mit Svea, die seit letztem Jahr auch unser Mitglied ist und gratulieren! Zu unserem Interview mit Svea Duwe.

Förderpreis Landeshauptstadt Dresden

Foto: René Zieger